Nikki Pelaez

Immer ist die menschliche Figur Mittelpunkt der sensiblen, poetischen Bilderzählungen der 1969 in den Niederlanden geborenen Kunstlerin Nikki Pelaez. In ornamentaler Zartheit jongliert sie großartig verschiedenste Techniken, bis sich ihre diversen Schablonen zu einem perfekten Ganzen zusammenfügen, verschiedene Ebenen, geschichtet wie aus der Hand eines Bildhauers …

 

Nikki Pelaez verwendet unterschiedlichste Materialien, die sie vielschichtig in ihre Werke einarbeitet: In mehreren Lagen werden eigene Fotografien ebenso wie Abbildungen alter Kunstwerke als Collagen übereinander gesetzt und dann malerisch mit Tinten, Kreiden und andere Materialien künstlerisch überarbeitet und verfremdet. Durch ein zum Schluss hinzugefügtes, gezeichnetes Element – meist in Gestalt eines Tieres oder Insekts – in Weiß oder Graphit entwickeln die Bilder eine weitere, mysteriös zauberhafte Schicht, die sie auf einzigartige Weise erstrahlen lassen! So entstehen geheimnisvolle Werke, die in einer intensiv eigenen Formensprache von Unschuld und deren Verlust, von Intimität, von Anziehung und Ablehnung, von Weichheit und Harte erzählen.

 

Nikki Pelaez studierte an der Kunstakademie In Maastricht.

Ihre Abschlussarbeit wurde in 2002 für den Gilbert de Bontridderprijs nominiert.

2003 erhielt sie ein Stipendium des "Fonds für bildende Künste".

Nikki Pelaez wuchs in Spanien auf, wohnt und arbeitet aber mittlerweile seit mehreren Jahren in Maastricht.  

 

 

Michael Marius Marks

 

 

 

 

Unheimlich schön

 

Es gibt im Leben manchmal Aufgaben, die einem herausfordern. Zum Beispiel, wenn der Kunsthändler deiner Wahl dich anruft und sagt "Wir machen eine Vernissage zu Nikki Pelaez, würdest du die Eröffnungsrede halten?" Da fangt das Hirn an zu rattern: "Ich habe zwar Literatur studiert aber Kunst ist was ganz Anderes." Da meldet sich aber das Herz, sagt "Es ist Nikki Pelaez". Das Hirn rattert weiter: "Und jetzt hast du einen Weinladen, das hat wahrlich nichts mit Kunst zu tun." Aber das Herz beharrt: "Es ist Nikki Pelaez." Noch ein letzter Versuch vom Hirn: "Deutsch ist nicht mal deine Muttersprache, wie soll eine Rede auf Deutsch klappen?" Aber das Herz sagt: "Es ist Nikki Pelaez, das sind die Bilder von Nikki Pelaez!" Und so stehe ich heute hier.


Die Bilder von Nikki Pelaez faszinieren mich. Sie rühren mich in meinem tiefsten Inneren. Das ist der Anfang. Die Frage für mich hier heute ist: warum? Ich bin Michael sehr dankbar. Dadurch, dass ich heute hier stehen darf, musste ich mich mit diesen Bildern noch mehr auseinandersetzen als ich es vielleicht sonst getan hätte. Und es hat sich gelohnt.


Je mehr ich die Bilder von Nikki Pelaez angeschaut habe, je mehr ich über sie nachgedacht habe, je mehr ich sie auf mich wirken lassen habe, desto mehr kam mir das Gefühl: diese Bilder sind nicht von dieser Welt. Diese Wesen - und ich benutze das Wort "Wesen" anstatt "Menschen" mit Absicht - sind nicht von dieser Welt. Die kommen zu uns von anderen Welten, von anderen Sphären, vielleicht auch von anderen Zeiten.


In der Welt der Bilder von Nikki Pelaez befinde ich mich manchmal in der Vergangenheit, einer Vergangenheit, die ewig weit zurück liegt, die im Endeffekt dadurch eine andere Welt darstellt. Diese Vergangenheits-Bilder sind für mich eindeutig ländlich, sie haben nichts mit unserem städtischen Leben zu tun. Diese Wesen wissen nichts von unserer 2.0 Welt. Die Hauptsubjekte in diesem Fall wirken wie eine Mischung aus Ikonen (russische Heiligenbilder), Madonnabildern und den Bildern der Alten Meister.


Es gibt aber auch eine Reihe von Sujets, die aus der Zukunft ihren Weg zu uns finden. Das sind Wesen, die fast androgyn wirken, deren Körper und Kopf mit einer Art Neoprenanzug überzogen sind. Man ist versucht an manche kühle, sterile Zukunftsvisionen zu denken wie Aldous Huxleys Brave New World (dt: Schöne neue Welt) oder sogar die seltsame Sterilität im Herzen von Star Trek (dt: Raumschiff Enterprise). Hier sehe ich Bilder, die mir vorkommen wie eine seltsame Verschmelzung aus Mensch und Technologie.


Und dann gibt es die Figuren, die zu uns aus ganz anderen Welten kommen. Die wirken wie Fabelwesen, die weder zu unsere Vergangenheit noch zu unserer Zukunft gehören. Das hockende Kind, das an eine Art Puck aus A Midsummer Night's Dream (dt: Ein Sommernachtstraum) erinnert; die Frau mit Wolfskopf, die aus einem Märchen ausgestiegen ist; das elfenähnliche Mädchen, an dem eine Krähe geheimnisvoll vorbeifliegt wie aus einem Mythos. Diese Figuren haben alle was Magisches und Verwunschenes, das nur bedingt mit unserer Welt zu tun hat.


Was alle drei gemeinsam haben für mich ist ihre Transzendenz. Sie existieren in einem Zwischenraum zwischen hier und da, zwischen jetzt und nicht-jetzt. Sie sind noch nicht vollständig bei uns, wir betrachten sie durch eine Art Schleier hindurch. Dieser Eindruck hat sicherlich mit der Technik von Nikki Pelaez zu tun. Die Bilder entstehen nur in vielfältigen Arbeitsschritten, sie sind am Schluss das Produkt von aufwendigem Layering. Es fängt mit einem Bild an, das bearbeitet und verfremdet wird. Dieses wird dann nochmal bearbeitet und nochmal verfremdet und so weiter. Damit rückt das ursprüngliche Bild immer tiefer, immer weiter weg. Dadurch entsteht bei dem Betrachter das Gefühl, dass diese Figuren immer ein paar Schritte weg von uns sind. Versuche sie zu greifen, versuche sie zu packen - es ist wie der Versuch jemanden zu packen, der unter einer Eisschicht auf einem Teich liegt.


Sie sind noch nicht vollständig bei uns, weil sie nicht vollständig bei uns sein wollen. Sie gehören nicht hierher. Sie kommen so nah an unsere Welt um uns zuzurufen, sie wollen, dass wir Ihnen folgen. Sie sind wie Sirenen, aber sie rufen nicht mit ihren Stimmen - nein, sie rufen mit ihren Augen. Schauen Sie die Augen bei Nikki Pelaezs Bildern an. Die sind wie tiefe dunkle Teiche, in denen wir eintauchen sollen, ja wollen. schneiden durch einen durch. Die Augen ziehen uns an, laden uns ein in ihnen einzutauchen. Und durchaus kann man sich in diesen Augen verlieren.


So wären die Bilder von Nikki Pelaez schön, sogar sehr schön. Aber so wären sie "nur schön". Aber die Bilder sind nicht nur schön, sie sind gleichzeitig verstörend. Ich bin versucht zu sagen, dass die Bilder unheimlich schön sind im genauesten Sinne des Wortes unheimlich.


Die reine Schönheit wird mächtig gestört auf zwei Weisen. Erstens, wird jedes Sujet dann mit Tieren oder anderen Objekte - oft nur als Umriss - übermalt. Und dieser Teil der Bilder verändert alles. Sie machen das jeweilige Bild komplexer, sie sind befremdlich, dadurch wird das Bild und die Schönheit für uns verfremdet. Es ist auch dieser Teil des Bildes, der dann eine Geschichte erzählt. Warum hält die Madonnafigur eine Garnele mit solche Zärtlichkeit in ihren Armen? Warum hat die eine Figur einen Maulkorb auf? Ist die andere Figur in ihrer geometrischen Form eingefangen? Über die Frauen, die eine Fliege oder Ameisen auf der Stirn haben, weht ein Hauch von Verfall, ja sogar Tod würde ich behaupten. Ich habe meine Antworten, aber jede von uns muss seine oder ihre eigenen Antworten finden. Nur in sehr seltenen Fällen - wie bei der Madonna, wo eine Taube vor ihr Gesicht flattert - bleiben die Bilder auch mit Umrissen einfach schön. Nein, sie werden in der Regel hierdurch verstörend.


Aber die einfache Schönheit wird auf eine zweite Weise gestört. Schauen Sie diese Figuren an, deren Blick. Ich suche hier vergebens nach Glück. Ich finde manchmal eine Ruhe, manchmal. Aber öfters finde ich eine Nachdenklichkeit, die aber oft in Richtung Trauer, vielleicht Schmerz driftet. Beim Nachdenken über die Gesichter musste ich an ein Gedicht von Margaret Atwood aus Kanada denken, wo sie behauptet, dass wir in unseren Träumen "zum Schmerz im Zentrum des Traumes, dem Schmerz im Zentrum", sprich "dem Schmerz in unserem tiefsten Inneren" reisen. Und hier, an diese Stelle, finde ich für mich meinen Zugang zu den Bildern von Nikki Pelaez.


Die Bilder kommen zu uns von einer anderen Welt, habe ich behauptet. Und für mich ist diese andere Welt das Unbewusste. Hier kommt alles zusammen. Das Unbewusste ist Vergangenheit und Zukunft und Welten, die nicht existieren. Das Unbewusste ist eine Welt, die uns wie durch eine Eisschicht erscheint, nach der wir greifen, aber fast immer nicht greifen können. Das Unbewusste ist eine Welt, die sich in unseren Träumen äußert, wo das Schöne auf das Unheimliche trifft, wo eine Frau durchaus eine riesige Garnele in den Armen hält, wo plötzlich grosse Insekten auf uns rumkrabbeln oder die Leute, mit denen wir reden, auf einmal das Gesicht von einem Wolf oder einem Fuchs haben. Das sind Bilder aus der Welt der Träume - und Albträume. Für mich machen die Bilder von Nikki Pelaez das Unbewusste für den Moment des Betrachtens sichtbar. Sie bringen "den Schmerz im Zentrum" für einen Moment fast an die Oberfläche, aber nur fast. Und in diesen Moment tauchen wir dann ein - und das ist unheimlich schön.


Ich habe Ihnen heute nicht viel über die Technik von Nikki Pelaez erzählt. Ich habe Ihnen auch nicht etwas über die Relevanz dieser Bilder innerhalb der niederländischen Kunstgeschichte erzählt. Ich habe Ihnen lediglich von der Relevanz dieser Bilder für ein Herz, für einen Mensch erzählt. Aber da fängt die Kunst an, ohne das bleibt die Kunst vielleicht eine trockene Übung. Und so lade ich Sie heute Abend ein, die Bilder von Nikki Pelaez zu entdecken und vielleicht deren Relevanz für sich herauszufinden. Oder sie einfach zu genießen.

 

For Nikki Pelaez, from Marc Colavincenzo, 13.06.2015 Wetzlar , Galerie Artherb